Tarnung

Stealth ist das Schlüsselwort für einen stetig wachsenden Katalog von Maßnahmen zur Minderung der Entdeckbarkeit durch den kombinierten Einsatz von physikalischen Effekten zur bewussten Kontrolle von Strahlungsflüssen, die von einem Objekt reflektiert oder emittiert werden. Ein klassisches Stealth-Prinzip besteht darin, Strahlung – die in den ursprünglichen Anwendungen von einem gegnerischen Radarsender ausgestrahlt wird und auf das bedrohte Objekt trifft – so zu "lenken", dass sie nicht in ungewünschte Richtungen – zum Beispiel zum gegnerischen Radarempfänger – reflektiert wird, sondern in andere Richtungen, in denen keine Bedrohung zu vermuten ist.

Genau dieses Prinzip macht sich eine patentierte, multispektral wirksame Tarnmaßnahme mit einer winkelabhängigen Reflexionscharakteristik zunutze, die in Zusammenarbeit mit Partnerfirmem konzipiert und realisiert wurde und im Folgenden für umlaufende Phased-Array Radare vorgestellt wird.

Phased-Array Weitbereichsradar SMART-L

Experimentelle Untersuchungen haben gezeigt, dass das Weitbereichsradar SMART-L1 (Thales Naval Nederland) unter ungünstigen Bedingungen einen starken Reflex im sichtbaren Spektralbereich der Sonnenstrahlung hervorrufen kann. Tatsächlich stellt die plane Fläche, die den äußeren Abschluss der Antenne in Sende- und Empfangsrichtung bildet und eine Fläche von ca. 2,7 m x 7,7 m, also ungefähr 21 m2 besitzt, einen beträchtlichen Reflektor (siehe Abbildung: Reflex) für die Strahlungsflüsse aus der oberen Hemisphäre dar (Sonne, Wolken, kalter Himmel). Wegen der sehr glatten Oberfläche wurde erwartet, dass diese Fläche speziell unter flachen Beobachtungswinkeln einen starken Glanz aufweist. Untersuchungen des spektralen Reflexionsgrads in den aus Sicht einer multispektralen Tarnung relevanten Infrarot Spektralbereichen NIR (nahes Infrarot, 0,7–1,2 µm), SWIR (kurzwelliges Infrarot, 1,5–2 µm), MWIR (mittleres Infrarot, 3-5 µm) und LWIR (langwelliges Infrarot, 8-12 µm) zeigen, dass dieses Reflexionsverhalten nicht nur im Sichtbaren (0,4–0,7 µm), sondern auch in den genannten Spektralbereichen, in denen die Sonnenstrahlung auf Meereshöhe über lange Strecken nachweisbar ist, ebenfalls (IR-Sensor gestützt) erkennbar ist. Nicht nur die Strahlung der Sonne, sondern auch die weit unter dem Niveau der sonstigen terrestrischen Strahlung liegende Strahlung des unbedeckten, kalten Himmels (besonders im Zenit) sollte dort, d.h. im MWIR und im LWIR, als "Reflex" (mit umgekehrtem Kontrast) sichtbar werden.

Aufgrund der Grundausrichtung der SMART-L-Antenne sowie ihrer kontinuierlichen Rotation (trot = 5s) zeigen Rechnungen im statistischen Umfang eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit, dass die Spiegelbedingung (Einfallswinkel = Ausfallswinkel) zwischen der Sonne/dem Himmel und einem im Wesentlichen aus horizontaler Richtung schauenden IR-Sensor gestützten Beobachter relativ zur Flächennormalen der Antennenoberfläche erfüllt sein kann. Die Wahrscheinlichkeit, den Reflex wahrzunehmen, vergrößert sich zudem, da der Konus, aus dem der Reflex sichtbar wird, wegen der endlichen Ausdehnung der Sonnenscheibe und wegen des zu erwartenden, mindestens leicht diffusen Reflexionsverhaltens der Antennenoberfläche durchaus endliche Werte annimmt. Die Filmsequenz im Sichtbaren unter Menüpunkt "Bewertung" und die IR-Sequenz2 im mittleren Infrarot (MWIR) auf dieser Seite zeigen die auftretenden Sonnenreflexe.

Für die Entstehung eines auffälligen Sonnenreflexes reicht ein Reflexionsgrad von nur wenigen Prozent aus. Dazu ein anschaulicher Vergleich: Eine nicht vergütete ebene Glasscheibe reflektiert, je nach Verschmutzungsgrad und Orientierung, 5–8 % der einfallenden sichtbaren Strahlung und liefert je nach Größe noch über Entfernungen von mehr als 20 km ein auffälliges Signal. Der spektrale Reflexionsgrad der Antennenoberfläche in Sende- und Empfangsrichtung spielt aus diesem Grund bei der IR-Signatur Reduzierung des Weitbereichradars eine wichtige Rolle.

Tarnforderungen

Der problematische Bereich des SMART-L Radars ist die vordere Abschlussplatte. Sie hat - wie oben bereits angegeben - eine nicht unbeträchtliche Größe von ca. 2,7 m x 7,7 m, also ungefähr 21 m2. In ihrer aktuellen Ausführung ist es eine ebene Fläche. Aus vielen Untersuchungen ist bekannt, dass solche ebenen Flächen einen starken Glanz aufweisen, und zwar in allen optischen/IR-Spektralbereichen (siehe Abbildung oben).

Geht man davon aus, dass der hemisphärische Reflexionsgrad von Tarnfarben im Sichtbaren bei etwa 20 - 30 % liegt (für nicht arktische und nicht aride Hintergründe), dann muss man einen Reflexionsgrad der Antennenoberfläche von wenigen Prozent fordern, und zwar unter allen Beobachtungswinkeln. Das ist mit Farben auf ebenen Oberflächen nur schwer erreichbar.

Im mittleren Infrarot (MWIR, 3–5 µm) hat die klare Sonne, vom Erdboden aus beobachtet, eine Temperatur von ca. 3600 K. Die Temperatur des Horizonts (Lufttemperatur) beträgt dagegen nur ca. 300 K. Das Verhältnis der Strahldichten beträgt ca. 103. Der Reflexionsgrad von Tarnfarben liegt bei etwa 5-10 %. Analog zu den obigen Überlegungen resultiert daraus als Tarnforderung für das MWIR, dass ein möglicher "Materialkandidat" entweder einen Reflexionsgrad von wenigen Promille haben muss (was insbesondere bei großen Reflexionswinkeln technisch noch nicht erreicht wurde), oder dass er sich wie ein guter Lambertscher Reflektor verhalten muss (insbesondere auch unter großen Reflexionswinkeln) und dabei einen Reflexionsgrad von etwa 5-19 % haben muss – dies scheint technisch realisierbar.

Die Tarnforderungen können also wie folgt formuliert werden:

1. Um im Sichtbaren den Glanz einer solchen ebenen Fläche zu brechen, ist zu fordern, dass sie einen sehr niedrigen Reflexionsgrad (deutlich unter 1 %) hat. Gleichzeitig muss sie extrem matt sein (muss also dem Ideal eines Lambertschen Reflektors sehr nahe kommen) und muss diese Eigenschaft insbesondere auch bis zu großen Reflexionswinkeln beibehalten.

2. Auch im MWIR ist zu fordern, dass das Material ein sehr gutes Lambertsches Reflexionsverhalten zeigt. Hier reicht es aus, wenn der Reflexionsgrad auf Werte von etwa 5 bis 10 % gebracht wird.

3. Die unverzichtbare Forderung nach Radarverträglichkeit des Materials stellt eine weitere Randbedingung dar, die zu einer erheblichen Eingrenzung der überhaupt verfügbaren oder auch nur möglicherweise in Frage kommenden Materialien führt. Tatsächlich basieren viele Materialien, die im optischen IR-Spektralbereich als brauchbare tiefschwarze Lambert-Reflektoren Verwendung finden, auf der Nutzung von Ruß als Pigment. Da Ruß andererseits aber auch bei vielen radarabsorbierenden Materialien (RAMs) eingesetzt wird, scheint es nicht ratsam, ein solches Material zu entwickeln.

Neben diesen Forderungen, die sich ausschließlich auf die Tarnwirksamkeit der Materialien beziehen, gibt es natürlich noch eine Vielzahl anderer Randbedingungen, die im Hinblick auf den Einsatz der Materialen im Marinebereich zu erfüllen waren.

Original SMART-L-Material

Das Material des frontseitigen Abschlusses der SMART-Sende- und Empfangsantenne ist folgendermaßen aufgebaut:

• Kern aus ca. 35 mm starkem PU-Schaum (Polyurethan),

• mit einer äußeren Abschluss-Lage aus 2 mm Pertinax (Hartpapier),

• welche nach außen mit einem seewasserfesten, glatten schwarzen Lack abgedeckt ist,

• das Versuchsmuster hat ein Gewicht von 4,7 kg/m2.

Der Lack ist tiefschwarz. Wie Untersuchungen zeigten, dass sein hemisphärischer Reflexionsgrad extrem niedrig ist - teilweise ist er sogar niedriger als der einiger weltweit als schwarze Lackstandards verwendeten Farben für optische Anwendungen. Bemerkenswert ist jedoch der hohe Glanz des sehr glatten Materials, speziell unter flachen Beobachtungswinkeln. Es verhält sich in dieser Beziehung sehr ähnlich dem bekannten hochglänzenden, tiefschwarzen Klavierlack.

Strukturiertes "Stealth" Material

Wie bereits oben beschrieben sind - anders als im klassischen Fall, wo sich (Radar-) Sender und Empfänger am gleichen Ort befinden - im vorliegenden Fall die Richtungen aus der die Sonne einstrahlt und aus der ein Beobachter blickt, fast immer verschieden. Diese Tatsache resultiert in einer Forderung, die sehr viel schwerer zu erfüllen ist.

Untersuchungen zeigen, dass es unter allen denkbaren Zenit Winkeln der Flächennormalen der umlaufenden Radarantenne einige, die (praktisch) keinen Reflex am Horizont erzeugen. Genauer sind es zwei Klassen von Winkeln: zum einen sind es sehr kleine Zenit Winkel (< 35°), zum andern sind es Winkel, die über 90° hinausgehen, was bedeutet, dass die Fläche eine negative Neigung zur Wasseroberfläche aufweist. Im ersten Fall werden die Sonnenreflexe fast immer (außer am Gegenpunkt der Sonne am Horizont) den Horizont überstreichen. Im zweiten Fall gibt es keine Reflexe, die zum Horizont weisen. Man kann mit keinem der beiden Winkel allein eine Antenne konstruieren – wohl aber mit einer Kombination von beiden.

Die Abbildung zeigt schematisch das Tarnmaterial. Das schraffiert gezeichnete ebene Substrat stellt den vorderen Abschluss der Antenne dar, wie es im Status quo, existiert. Die Auflage mit der treppenförmigen Vorderseite ist das Stealth-Material. Die beiden Vektoren N1 und N2, die die beiden Teilflächen charakterisieren, haben Zenit Winkel Θ1 < 35° und Θ2 > 90°, entsprechend dem oben genannten Konstruktionskriterium. Bei ihrer endgültigen Auswahl wurde berücksichtigt, dass der Rollwinkel eines Schiffes auch bei schwerer See ±10° nicht oder statistisch nur selten überschreitet. Ferner wurde darauf geachtet, dass der Winkel, in den man von außen einsehen kann, nicht 90° beträgt, so dass mögliche Retroreflexionen aufgrund eines "Corner"-Effekts vermieden werden.

Die Radarverträglichkeit wird durch Verwendung von Polypropylen sichergestellt. Die Nichtbenetzbarkeit (etwa durch Gischt und Regen) kann mit herkömmlichen Mitteln, aber auch zum Beispiel mit Hilfe der neuen Nanotechnologie erreicht werden. Das verwendete Polypropylen-Versuchsmuster hat eine Stärke von 6 mm sowie ein Gewicht von 4,3 kg/m2.

Bewertung

Das Stealth Material verfügt über zwei Teilflächen, deren Flächenneigungen so gewählt wurden, dass sie die oben genannten Konstruktionskriterien erfüllen. Damit wird das Auftreten von Reflexen minimiert. Es zeigt beim Reflexionswinkel von 45° keinerlei spekulare Reflexe und auch der diffuse Untergrund ist extrem klein. Aus Untersuchungen über das statistische Verhalten von spekularen Reflexen von ebenen Flächen als Funktion der Zenit Winkel ihrer Flächennormalen ist davon auszugehen, dass sich auch bei anderen, insbesondere größeren Reflexionswinkeln dieses positive Reflexionsverhalten ergibt.

Das Originalmaterial der SMART-L-Antenne hat zwar einerseits einen außerordentlich kleinen hemisphärischen Reflexionsgrad, verfügt aber andererseits über eine hohe spekulare Komponente der reflektierten Strahlung. Dies gilt sowohl im Sichtbaren wie im Wärmbildbereich. Im MWIR konnte gezeigt werden, dass die spekulare Komponente als Funktion des Reflexionswinkels Θr proportional zu cos−2 Θr wächst und dabei sehr große Werte annimmt (bis zu 3 Größenordnungen über den Werten bei Θr = 0). Da das starke Anwachsen der spekularen Komponente mit zunehmendem Reflexionswinkel in der Realität eher die Norm als die Ausnahme ist, muss für ein leistungsfähiges Tarnmaterial über die Forderung nach einem extrem kleinen hemisphärischen Reflexionsgrad hinaus gefordert werden, dass es sich über einen größtmöglichen Bereich von Reflexionswinkeln wie ein Lambertscher Reflektor verhält.

Tarnmaterialien, die geeignet sind, das vorliegende Reflexionsproblem zu lösen, müssen eine ausgeprägte "makroskopische" 3D-Struktur haben.

Das Stealth-Material kann im Prinzip als Auflage auf vorhandene plane Abdeckungen verwendet werden, kann aber auf Grund seiner mechanischen Steifigkeit auch als selbstständiger Abschluss eingesetzt werden. Die Neigungen der beiden Teilflächen müssen sorgfältig auf das jeweilige Problem angepasst werden. Im Fall der SMART-L-Antenne, deren Flächennormale einen Zenit Winkel von ca. 60° hat, wird empfohlen, die flache und die steile Teilfläche so zu gestalten, dass ihre Flächennormalen den Zenit Winkel von 15° bzw. 110° haben. Hier ist das Rollverhalten von Schiffen (mit Krängungen von maximal ±10°) eingeschlossen.

1 Das Weitbereichsradar SMART-L bzw. der Nachfolger S1850M wird (Stand Oktober 2019, [ ] = Einheiten, aktuell 28) bei folgenden Marinen eingesetzt bzw. ist in Planung: Deutschland - F124 [3]; Niederlande – De-Zeven-Provincien [4]; Dänemark – Iver-Huitfeldt [3]; Südkorea – Dokdo [4]; Großbritannien – Daring [Zerstörer, 6] und Queen-Elizabeth-Klasse [Flugzeugträger, 2]; Frankreich / Italien – Horizon [2]; Kanada – Province [4].

2 Die Infrarot Sequenz zeigt eine Fregatte (F124) auf See im mittleren infraroten Spektralbereich (MWIR) aus der Luft. Deutlich erkennbar das rotierende Weitbereichsradar SMART-L zur Luftaufklärung. Wie bereits im sichtbaren Spektralbereich ist der flächendeckende Sonnenreflex auf der sende- und empfangsseitigen Antennenoberfläche auch im MWIR unter flachen Winkeln detektierbar. Das Problem der Reflexionen von der Sonne und dem kaltem Himmel durch das umlaufende Radar ist komplex, wurde jedoch mittels einer Modellanlage (im Maßstab 1:7) ausreichend systematisch untersucht und bewertet.